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Hoyerswerda 1991: Erinnerungen - Einsichten - Perspektiven

Vertragsarbeiter*innenwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße


Aufgrund nationaler Abkommen kamen in den 1970er und 1980er Jahren viele sog. Vertragsarbeiter*innen nach Hoyerswerda, vor allem aus den Ländern Mosambik, Vietnam, Algerien, Polen usw., die später in ihre Herkunftsländer zurückkehrten und durch neue Arbeitskräfte ersetzt wurden (Vgl. Wowtscherk S. 77). Seit Anfang der 70er kamen Polen und Polinnen und lebten in der Albert-Schweitzer-Straße. Sie arbeiteten vor allem im Stammbetrieb des Gaskombinates Schwarze Pumpe oder im Braunkohlenwerk Welzow. Die Betriebe waren für die Unterbringung zuständig: die Zusammenlegung von Menschen unterschiedlicher Nationalität war üblich, wie auch von Menschen, die in verschiedenen Schichten arbeiteten, was Konflikte befeuerte, ebenso wie die Überbelegung, spärliche Ausstattung und strenge Heimordnung mit Zimmerkontrollen und Anmeldepflichten. Trotzdem sprach die einheimische Bevölkerung von Bevorteilung der ausländischen Gäste auf dem Wohnungsmarkt und die zentrale Unterbringung gegen Integrationsansätze - der wirtschaftliche Nutzen für die DDR stand im Vordergrund (Vgl. ebenda, S. 79ff.). Um ein Minimum an Lebensqualität zu ermöglichen, wurden Sportplätze für Fuß- und Volleyball und Klubräume mit Tischtennisplatten geschaffen. Ein Blasorchester, ein „Singeclub”, Boxtrainingsmöglichkeiten und ein Fotozirkel entstanden, Konflikte blieben jedoch nicht aus, auch aufgrund der ungleichen Lohnzahlungen untereinander und verglichen mit den deutschen Arbeitskräften (Vgl. ebenda, S. 86ff.).


Im September 1991 kam es zu pogromartigen Ausschreitungen: Das Wohnheim wurde vom 18.09-20.09.91 täglich attackiert, nachdem tags zuvor alkoholisierte Jugendliche auf dem Wochenmarkt vietnamesische Verkäufer*innen bestahlen, beschimpften und beschuldigten, einen Hund getötet zu haben. Beide Seiten sollen sich bewaffnet, die Jugendlichen sollen die Händler bis zum Vertragsarbeiter*innenwohnheim gejagt haben, wo es zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Am Abend belagerten acht bis neun Personen das Haus und provozierten die Bewohner*innen mit rechtsradikalen Parolen und Steinwürfen; der Versuch, das Haus zu stürmen, blieb erfolglos; ebenso wie die erhoffte Schlägerei (Vgl. ebenda, S. 164f.). Circa 15 Schaulustige kamen hinzu und beteiligten sich an den Steinwürfen; die anfeuernde Menge wuchs auf 200 Schaulustige an. Die Polizei hatte die Lage, bis Verstärkung zur Räumung kam gegen 19:20 Uhr, nicht unter Kontrolle. 12 Jugendliche wurden verhaftet, am 19.09. bereits 51 (Vgl. ebenda, S. 167). Am frühen Nachmittag des 21.09.1991 erfolgte die „ordnungsgemäße Rückführung” von ca. 60 ausländischen Bürger*innen aus der Stadt nach Frankfurt, veranlasst vom Ordnungsamt; 70 Personen blieben vorerst untergebracht. In den Folgetagen verlagerten sich die Ausschreitungen auf das Ausländer- und Asylbewerber*innenwohnheim (Vgl. ebenda, S. 173) in der Thomas-Müntzer-Straße.

Mehr Informationen finden Sie über den QR-Code am Denkmal zur Erinnerung an die Ereignisse aus dem Herbst 1991 auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in der Dissertation von Dr. Christoph Wowtscherk sowie unter www.hoyerswerda-1991.de.

Quelle: Christoph Wowtscherk: Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht?, V&R unipress, 1. Auflage 2014
Verfasser des Textes: Initiative Zivilcourage
Fotos: Fotoarchiv Gerd Fügert